"Die Wohnung war ganz oben. Unten gab es ein Fleckchen Grün, das leider in Plastikmüll und Pizzaverpackungen ertrank." Nina erzählt über die bisherigen Gärten ihres Lebens.
Ich habe es vor Augen, als wäre es gestern: Mein Opa in blau-ausgewaschener Arbeitslatzhose steht tief gebückt über seinen Kartoffelpflanzen hinten im Garten und erntet, was das Beet hergibt. Oma sitzt mit Enkelkind gemütlich unter der orange-braunen Markise auf der Terrasse, von der aus man einen kleinen Teil des großen Gartens sehen konnte, dafür aber mit seinen Füßen quasi direkt in Omis Stiefmütterchen-Beet baumelt, und trinkt Apfelsaft. Opa hatte allerlei Dinge da hinten angepflanzt - neben den Kartoffeln gab es einiges an Sträuchern, Brombeeren und Stachelbeeren für Omas leckeren Gelee, ein Pflaumen- und ein Apfelbaum, und weiter um die Ecke war noch einiges mehr zu entdecken. Im Sommer saßen wir mit der ganzen Löwen-Sippe mitten im Garten unter der blauen Wäschespinne. Die Alten auf Klappstühlen, die Hunde pesten umher und düngten die Bäume, und ich als einziges Kind der Familie verlor mich in den Grashalmen und schaute Marienkäfern beim Leben zu.
Das war schön. Das war einfach schön. Auch zu Hause bei meinen Eltern gab es reichlich Auslauf und zig Beete mit Kräutern für das Rührei oder den Quark am Sonntagmorgen, Erdbeeren hinten links zwischen Regentonne und Komposthaufen, Kartoffeln hinten rechts unter der Birke und zwei Kirschbäume, zwischen denen die Hängematte gespannt war. Im Winter wurde der kleine Hügel in der Mitte des Gartens zum Rutschen und Hinunterkullern benutzt.
Nach 13 Jahren Stillsitzen-Lernen zog es mich für's Studium aus dem Hamburger Speckgürtel nach Kiel. Meine erste Wohnung teilte ich mir mit zwei anderen Neukielern. Ich schaute aus meinem Fenster direkt in die Wohnungen gegenüber, lag doch nur eine kleine Pflasterstraße zwischen uns. Rauchend saß mein bauchiger Nachbar Tag für Tag am Küchenfenster bis er sich abends mit seiner Leberwurststulle rüber an den Couchtisch setzte - meist nackt. Eine andere Nachbarin hatte einen wolligen, recht klobigen Hund, der - so schien es mir - öfter mal aus dem Fenster springen wollte, jedenfalls hing er immer mit dem Großteil seines Körpers aus dem 5. Stock. Gut, bevor ich abschweife: Ich will euch eigentlich von unserem Garten erzählen. Wir hatten keinen Garten. Die Wohnung war ganz oben, unten gab es ein Fleckchen Grün, das leider in Plastikmüll und Pizzaverpackungen ertrank. Wir hatten einen Balkon nach hinten raus, Südostausrichtung. Perfekt eigentlich. Leider bevölkert von einem Dutzend Tauben. Ich sehnte mir meine Brombeersträucher und die Hängematte herbei.
Irgendwann zog ich um. Andere Wohnung, anderer Stadtteil, gleiche Etage, nämlich ganz oben. Die schöne Holtenauer Straße lag mir zu Füßen, gegenüber nur Häuserdächer und der Blick auf den Rathausturm und etwas entfernter ein paar Schornsteine von den Fähren. Wir hatten nun eine wunderschöne Loggia in Hellgelb. In your face Südausrichtung, Sonne von mittags bis abends oder eigentlich den ganzen Tag. Der Balkon war der Mittelpunkt unserer Wohngemeinschaft: Sonnenbaden, Frühstücken, Grillen, Wein trinken, laut mitsingen zu Youtube. Ein paar Kräuterchen standen da auch, mediterrane waren es. Meine Mitbewohnerin war Italienerin, es gab immer guten Cappuccino und gute Pasta. Wir waren allerdings auch alle immer viel unterwegs, am Reisen (als angehende Geographinnen gehörte das quasi zur Ausbildung dazu), auf Tramprennen, in der Stadt am Routieren, Party machen, über das Wochenende in die Heimat... für einen richtigen Nutzgarten fehlte uns schlicht die Zeit.
Nun, in der Gegenwart angekommen, ist die Ära "Studium" erfolgreich beendet. Die neue Challenge trägt den Namen Marlon und wird im April zwei Jahre alt. Nahrung und Landwirtschaft haben für mich einen komplett anderen Stellenwert bekommen seit ich Mama bin und ich konnte gar nicht anders, als mit dem Home Gardening zu beginnen. Auf meinem Südost-Balkon mit viel Morgensonne (ich war zwischenzeitlich nochmal umgezogen) startete ich in das Abenteuer "Balkongarten" mit Kräutern und Tomaten. Ich zog sie noch nicht selber an, muss ich gestehen, sondern kaufte vier große Tontöpfe, Erde, Rankhilfen und kleine vorgezogene Tomatenpflanzen. Die verschiedenen Kräuter bekam ich als Geschenk von meiner italienischen Freundin. Ich war sofort verliebt in meinen Balkon, erstrahlte er doch so fein in Rot und Grün! Wie heißen nochmal die Menschen in roter Uniform und großem, haarigem Hut, die in England das Königshaus bewachen und die nicht grinsen dürfen, auch nicht wenn man sie kitzelt? Genauso standen meine vier kleinen Tomätchen in dem Laubengang vor meiner Haustür und bewachten uns. Ich hatte sie sofort in mein Herz geschlossen und goss sie jeden Abend. Irgendwann begannen sie schön gelb zu blühen und man sah die ersten Bienen umherschwirren. Dann kamen bald die ersten kleinen grünen Früchte, die wuchsen und sich rot färbten. Der Zeitpunkt für die erste Ernte war gekommen. Ich erinnerte mich an meine vielen schönen Erlebnisse in Opas Garten und überließ den Moment meinem Sohn. Mit seinen kleinen runden Patschefingern griff er nach dem roten Ball, zerrte etwas dran bis der dünne Ast nachgab und schon hatte er die erste Tomate in der Hand. Wahrscheinlich waren das nur so Mutterhormone, aber das war ein wunderschöner Anblick für mich. Zu sehen, wie etwas gewachsen ist, das ich - nun ja - gegossen hatte (und ich muss sagen, ich hatte keine Ahnung, was ich eigentlich tat).
Marlon steckte sich die Tomate in den Mund, kaute drauf herum und spuckte sie mit zerknülltem Gesicht wieder aus. Dieses Jahr säe ich also Erdbeeren aus.
Was ist nun die Moral von dieser Geschicht'? Grün macht glücklich. Das ist meine ganz innerste Überzeugung. Wir wollen dorthin, woher wir kommen. Der Garten hat etwas ganz Urspüngliches, das uns etwas gibt, was sich anfühlt wie Zuhause. Und das funktioniert im großen Garten bei Opa und Oma, aber eben auch auf dem Balkon, den wir uns begrünen.